Alles Käse

Alles Käse oder ‚Mit leeren Händen‘

Ungefähr 1985. Eine Woche Urlaub in Hofgastein. Auf dem Bergbauernhof der Stuhlers. Die haben auf ihrem Hof auch eine Jausenstation dabei und verkaufen dort ihre Produkte. Selbst hergestellte Butter. Gerührt im Butterfassl. Selbst gemachter Käse. Dieser Käse – sie nennen ihn Bergkäse – ist auch der Verkaufshit in der Jausenstation. Sehr geschmackvoll. Rassig. Serviert auf einem Butterbrot.
Da wir ja fast sowas wie verwandt miteinander sind, helfen wir – wenn’s grad passt – beim Servieren in der Jausenstation aus. Und, so wird uns aufgetragen, wir sollen nur ja nicht vergessen, dass der Käse vor dem Servieren immer gepfeffert wird. Der Sinn ist uns nicht klar, denn es stehen ja eh Salz & Pfeffer auf den Tischen. Wahrscheinlich wegen der Optik…

Bevor wir wieder nach Hause fahren, ist noch was zu erledigen. Die Stuhlers haben gesagt, dass sie von ihrer Alm, der Rastötzenalm, auch genannt Grubhütte, auf 1700 m ein Kitzlein holen würden. Und wenn wir wollten, könnten wir eine halbe Goaskitz haben.

Also machen wir uns ein paar Tage vor unserer Abfahrt auf den Weg auf die Alm. Bald ist das Kitzlein eingefangen. Wir führen es an einem Strick hinunter zum Bergbauernhof. Das Kitzlein springt herum, ist lebhaft und doch zutraulich. Es ahnt noch nichts vom nahenden Ende. Irgendwie können wir uns gar nicht vorstellen, dass wir die Hälfte davon, verpackt in Einzelteile, mitnehmen werden.

Am Samstag reisen wir ab. Wieder ein wunderschöner Tag, an dem man eigentlich gar nicht nach Hause fahren will. Es ist August und schon der Morgen verkündet, dass es ein heißer Tag werden wird.

Der Kofferraum ist voll. Randvoll. Der Kofferraumdeckel geht nur mit sanfter Gewalt zu. Daher wird die halbe Goaskitz in nasse Fetzen eingeschlagen und auf der Hutablage deponiert. Ja, und dann müssen wir natürlich noch den fantastischen Käse mitnehmen. Wir nehmen einen ganz Laib, etwa 40 cm im Durchmesser. Auch der kommt auf die Hutablage. Zu Hause werden wir ihn ebenso wie das Kitzerl aufteilen. Halbe halbe. Eine Hälfte für uns, die andere für meine Schwester.
Bei der Heimreise ist es ziemlich heiß. Da wäre natürlich ein Auto mit Klimaanlage gut gewesen, aber die sind ja viel zu teuer. Heutzutage kennen wir ja sehr heiße Tage. Der Klimawandel. Davon war damals noch nicht die Rede. Aber es war wirklich sehr, sehr heiß. Und die Sonne schien heiß durch das Heckfenster.

Zu Hause, bei meiner Schwester wollten wir erst mal die Goaskitz teilen. Allerdings… Das Kitzlein roch nicht mehr gut. Unter ‚nicht mehr gut‘ ist gemeint, dass es stank. Ganz gemein stank. Der ganze Aufwand mit dem Abholen von der Alm umsonst. Wir müssen das Kitzlein entsorgen.
Dann geht’s daran, den Käselaib zu teilen. Ein großes Messer muss her. Wir schneiden den Laib in der Mitte auseinander. Was ist denn das? Um Gottes Willen! Gefühlte hundert weiße Maden, dick und fett, schlängeln sich aus den Schnittstellen heraus. Das gibt’s doch nicht! Wir schneiden die Hälften nochmals auseinander. Da ändert sich nichts. Dicke Maden krümmen sich träge aus dem Käse heraus. Der ganze Käse ist mit Maden verseucht. Wahrscheinlich hat auch ihm der Aufenthalt auf der Hutablage, in der prallen Sonne, nicht gutgetan.

Blitzartig wird uns klar, warum jedes Käsebrot mit Pfeffer bestreut werden musste. Und allen Gästen hat er hervorragend geschmeckt. Und uns auch. Wir packen den Käse in Nylonsackerl und entsorgen ihn gemeinsam mit dem Kitzlein in der Mülltonne.
Irgendwie… stehen wir jetzt mir leeren Händen da.

(1981)

Anmerkung: Maden im Käse sind gar nicht so ungewöhnlich:

Sardiniens Casu Marzu und Korsikas Casgiu Merzu.
Casu Marzu heißt wörtlich übersetzt ‚verdorbener Käse‘. 2009 wurde er als ‚gesundheitsschädlichster Käse der Welt‘ in das Guinnessbuch der Rekorde aufgenommen. Die goldene Regel von Käseliebhabern auf der ganzen Welt lautet ja bekanntlich: ‚Je mehr er stinkt, desto besser schmeckt er.‘ Der Gestank des Casu Marzu allerdings ist unvergleichlich. Das liegt daran, dass der ‚verdorbene Käse‘ seine cremige Konsistenz, seinen unvergleichlichen Geruch und seinen markanten Geschmack den in ihm lebenden Larven der Käsefliege verdankt. Und genau das macht die Verkostung von Casu Marzu für einige zu einem fast mystischen Erlebnis.
Allerdings: Weil der Casu Marzu gegen die EU-Hygiene- und Gesundheitsvorschriften verstößt, sind seine Herstellung sowie sein Verkauf seit 2005 verboten. Werden die Maden nämlich verschluckt – was ja natürlicher Weise immer der Fall ist – können sie in Magen oder Darm weiterleben und dort einigen Schaden anrichten.

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