Keine Zimmer in Venedig

Keine Zimmer in Venedig

Wann? Das muss schätzungsweise um 1977 gewesen sein – also ‚neulich‘. Jedenfalls waren die Hofers und wir noch kinderlos. Wir waren also in einem echt jugendlichen Alter. Was bei der Geschichte zu beachten ist: ein Hotelzimmer zu buchen, war damals noch etwas abenteuerlich. Man brauchte entweder eine Adresse für eine briefliche oder telefonische Buchung oder ein Reisebüro.
Wir machten einen einwöchigen Urlaub in Milano Marittima, das ist etwa 15 Kilometer südlich von Ravenna. Wir hatten wunderbares Wetter und verbrachten die Tage am Strand. Also… ‚verbrchten‘ ist nicht ganz richtig, denn das klingt nach Faulenzen und Langeweile. So war’s aber nicht, denn es war eine Aktivwoche im Meer mit jeder Menge kraftraubender ‚Wasser-Ringkämpfen‘ und ‚Unterwasser-Bussis‘. Wie gesagt, wir waren noch ‚etwas‘ jünger.
Nicht nur die appetitanregenden Aktivitäten waren es, die uns ‚Einiges‘ verzehren ließen. In unserer Jugend konnten wir wirklich noch was verdrücken. Und dazu kam, dass wir uns in einer kleinen Pension einquartiert hatten, in der uns die Hausherrin, die Mama, höchstpersönlich bekochte. Dreimal am Tag. Vollpension also. Und Mama hatte es sich zur persönlichen Aufgabe gemacht, uns kulinarisch so richtig zu verwöhnen. Wenn ich an die riesigen Portionen Spaghetti zurückdenke, die Fritz und ich als Vorspeise (!) verdrückt haben – na servas! Und es kam nicht selten vor, dass wir nach dem dreigängigen Mittagsmenu direkt auf eine Pizza gingen. Ich schätze mal, dass wir an einem Tag das gegessen haben, war wir heute in einer Woche zu uns nehmen.

Der letzte Urlaubstag in Milano Marittima war angebrochen. Auf der Heimreise wollten wir noch eine Nacht in Venedig verbringen – frei nach der komischen Operette von Johann Strauß. In Venedig fand nämlich eines der ältesten Volksfeste statt, das ‚Festa del Redentore‘, das jedes Jahr am dritten Juliwochenende gefeiert wird. Weil an diesem Fest jährlich an die 30.000 Menschen teilnahmen, hatten wir frühzeitig zwei Hotelzimmer gebucht. Auf den Namen Hofer. Haben wir das selbst gebucht? Oder über ein Reisebüro? Wir wissen es nicht mehr.
Eilig hatten wir es nicht. Venedig war in knapp drei Stunden erreichbar und das Fest ging ja erst in den frühen Abendstunden so richtig los. Also hatten wir am Vormittag noch eine richtig kräftezehrende ‚Meeres-Challenge‘ und machten uns am Nachmittag nach dem wie immer überreichlichen Mittagsmenu auf den Weg.

Als wir in Venedig unser Hotel erreicht hatten, teilte man uns dort mit, dass für uns keine Zimmer mehr frei seien. Jaja, man hätte eine Reservierung auf den Namen Hofmann, die Gäste hätten schon eingecheckt. Nein, auf den Namen Hofer sei keine Reservierung da. Und Zimmer sei leider auch keines mehr frei. Das Festa del Redentore…, viele Gäste…, eh schon wissen… Okay, man bemühte sich um uns. Fragte sogar bei anderen Hotels nach, ob noch Zimmer frei wären. Der Verdacht, dass man uns aus irgendwelchen Gründen zugunsten anderer Gäste aus der Reservierungsliste gestrichen hatte, blieb. Natürlich waren nirgends mehr Zimmer frei.

Was tun? Na, wenn’s keine Zimmer gibt, dann gibt’s eben keine. Wir werden auf das beliebteste Fest der Venezianer aber nicht verzichten. Wir würden eben spät nachts nach Hause fahren. Bis dorthin würden wir es uns jedenfalls gut gehen lassen.
Wir erfuhren, dass 1576 in Venedig die Pest gewütet hatte und das Leben in der Lagunenstadt – normalerweise ein geschäftiger Handelsplatz – lahmgelegt war. Als die Epidemie 50.000 Menschen dahingerafft hatte, legte der Senat am 4. September das Gelübde ab, eine Kirche zu errichten, wenn die Pest verschwindet. Tatsächlich – Wochen später ebbte die Pest in der Stadt ab. Als die Kirche errichtet war, legte der Doge fest, dass der dritte Julisonntag zur Pilgerfahrt bestimmt sei.

Heute ist das tatsächlich ein großes Fest. Der Eintritt zu den Konzerten von religiöser Musik ist frei. Gegen 19 Uhr wird eine Schiffsbrücke eröffnet, die von der Promenda Zattere bis zur Insel Guidecca reicht. Tausende Boote schaukeln durch die Kanäle. Sie sind festlich geschmückt und mit bunten Lampions beleuchtet. Überall wird gefeiert. Wir probieren typische Gerichte aus der Lagunenstadt, flanieren durch die Straßen und lauschen kleinen Musikgruppen. Um Mitternacht startet das Feuerwerk, das die unglaublichen venezianischen Bauwerke in vielfarbige Lichter taucht und ihnen ein magisches Aussehen verleiht.
Irgendwann nach einem nachmitternächtlichen Abendessen ist’s genug. Wir setzen uns mit vollen Bäuchen in unser Auto und treten den Heimweg an. Fritz hat das Steuer übernommen und verkündet nach einer halben Stunde, dass er zu müde sei und jemand anderer weiterfahren müsse. Pepi erwacht und übernimmt das Fahren. Er schafft auch nur eine halbe Stunde, dann muss Traudi ran. Eine Stunde später sitzt wieder Fritz am Fahrersitz. Dann wieder Pepi, dann wieder Traudi und so weiter. Susi kommt nicht zum Fahren dran, denn sie hat eine andere, weit wichtigere Aufgabe übernommen.

Sie singt. Pausenlos. Das bringt zwar keinen Unterhaltungseffekt aber es soll verhindern, dass der Fahrer einschläft. Und es gelingt. Die drei Fahrer wechseln sich alle halbe oder dreiviertel Stunde ab. Susi singt. Als wir gegen sechs Uhr früh Linz erreichen, ist Susi heiser.

Wir sind erschöpft aber glücklich, dass wir ohne Zwischenfall angekommen sind. Und vor allem sind wir… hungrig. Um sechs Uhr früh? Da fällt uns nur der Warme Hans ein. Dort essen wir wahrscheinlich Leberkäs. Oder Buren scharf mit Kren? Wenn wir jetzt daran zurückdenken, können wir uns nur noch an jene schwankende Gestalt erinnern, der sich ungustiös Leberkäs in den Mund stopfte, während ihm die Mayonnaise über’s Kinn rann.

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