SoKo

SoKo

Jetzt hat er also wieder Arbeit am Hals. Arbeit ist ihm grundsätzlich zuwider. Weil sie eben mit Arbeit verbunden ist. Dazu kommt noch, dass er diese Arbeit nicht beherrscht. Aber welche beherrscht er schon? Und sie macht ihm auch keinen Spaß. Aber welche Arbeit macht schon Spaß.

Zuerst muss er einen Regisseur finden. Vielleicht könnte das Max machen? Max hat ja bei seiner Arbeit immer den Überblick. Er muss ja auch die Aktionen verschiedener Menschen koordinieren. Damit niemand runterfällt.
Na einen Versuch ist es wert.
„Hallo Max, ich brauch dich als Regisseur.“
„Als Regisseur?“, fragt Max verständnislos.
„Ja, du hast schon richtig gehört. Für einen Fernsehkrimi.“
„Ich habe aber mit Krimis nichts am Hut.“
„Spielt keine Rolle!“
„Aber ich habe doch noch nie einen Krimi gelesen. Oder gesehen. Und im Fernsehen schau ich mir nur  die Naturfilme an.“
„Das macht überhaupt nichts. Du schaffst das schon.“
„Ich bin doch Dachdecker. Ich habe keine Ahnung, was ein Regisseur tun muss…“
„Das kannst du ja googeln. Ich nehme dich jedenfalls unter Vertrag.“
„Unter Vertrag? Du kannst doch nicht einseitig einen Vertrag abschließen.“
„Natürlich kann ich.“
„Aber ich…“
„Geld gibt’s natürlich keins dafür. Du machst das ehrenamtlich…“
„Aber ich…“
Er legt auf. Einwände will er keine mehr hören.

Jetzt zum Kameramann. Wer fällt ihm denn da ein? Michael vielleicht. Der hat doch beim letzten Klassen-treffen mit dem Handy ein Video gemacht. Oder? Nein,
das war Konrad.
„Hallo Konrad, ich brauch dich als Kameramann.“
„Als Kameramann?“
„Ja. Hörst du schlecht?“

„Was soll denn das? Ich bin Kammerjäger. Nicht Kameramann. Du verwechselst da was.“
„Nein, nein. Hör doch endlich mal zu. Du bist unser Kameramann. Ich habe das so entschieden. Und damit aus. Und basta!“
„Bist du betrunken? Zu dieser Tageszeit?“
„So nüchtern wie ich bin, möchtest du gar nicht sein. Wir machen einen Fernsehkrimi. Zusammenarbeit ORF mit ZDF. Wir brauchen einen Kameramann.“
„Und da kommst du auf mich? Ich hab nicht mal eine Kamera.“
„Die Kamera kriegst du von uns. Du hast doch mit dem Handy schon Videofilme gedreht.“
„Ich? Ich weiß nicht mal wie das geht.“
„Doch. Beim letzten Klassentreffen. Erinnerst du dich nicht.“
„Meinst du das verwackelte 20-Sekunden-Video? Das war doch nicht ich. Das war Michael.“
„Egal. Du bist jetzt unser Kameramann. Du schaffst das schon. Man wächst mit der Aufgabe. Übrigens… wegen des Geldes…“

Nun zum Drehbuchautor. Wer fällt ihm da ein? Werner? Nein, der macht sich immer so wichtig. Rudi? Hat der nicht schon mal ein Buch gelesen? Na, jedenfalls hat er gesagt, dass er eines zu Hause hat. Oder sogar zwei. Hat der nicht sogar mal was von einem ‚Zweitbuch‘ gesagt? Ja richtig. Aber dann ist er zu belesen. Wie wär‘, wenn er Miran nähme? Ja, Miran! Der arbeitet an der Drehbank.

„Hallo Miran. Du musst für uns ein Drehbuch schreiben.“
„Drehbuch? Was ist? Ich nix wissen, was ist“, sagt Miran.
„Ein Drehbuch. Für einen Film. Im Fernsehen. Einen Krimi. Du weißt schon…“
„Ich nix Krimi. Ich schauen Traumschiff.“
„Ja, das sind die besten Voraussetzungen. Wir brauchen eh nicht zu viel Stoff…
„Stoff? Nix Stoff. Du wissen. Ich haben aufgehört.“
„Nicht so ein Stoff, Miran. Stoff für eine Geschichte. Eine kurze. Zwei oder drei Seiten halt. Die schreibst du im Nu.“
„Ich sollen schreiben? An wen? Und was?“
„Du sollst nicht an wen schreiben. Du sollst ein Drehbuch schreiben.“
„Ich nix wissen, was sein Drehbuch.“
„Egal. Nimm eine Zeitung, lies einen Artikel. Oder die Kleinanzeigen. Mach eine Story daraus.“
„Ich nix haben Zeitung…“
„Dann nimm halt eine Gratiszeitung. Ist eh besser. Die drücken sich nicht so gestelzt aus.“
„Soll ich nehmen heute eine Gratiszeitung? Eine aus Österreich?“
„Wie du willst. Aber ich brauch das Drehbuch noch diese Woche.“
„Kann ich schreiben Kroatisch? Ich nix gut schreiben Deutsch.“
„Nein Deutsch. Da muss dir eben jemand helfen.“
„Aber ich nix wissen, was schreiben.“
„Egal! Hör jetzt endlich mit deinen Ausreden auf. Bis Freitag hab ich das Drehbuch. Verstanden?“

Was braucht er noch? Ah… Schauspieler. Aber darum soll sich wer anderer kümmern. Er ist ja schließlich nicht dazu da, Knochenarbeit zu erledigen. Es genügt, wenn er die Vorgaben macht.
Also setzt er sich hin, und bringt zu Papier, was ihm vorschwebt.

Casting-Vorgaben:
AUSSEHEN: Das Aussehen muss tadellos sein. Zumindest nach der Schminke. Am besten sind Visagen, die man einmal sieht und sofort wieder vergisst. Ein Krimi soll ja nicht an einzelnen Personen hängen.
SCHAUSPIELERISCHES TALENT: wird überschätzt. Beziehungs-weise ist nur hinderlich. Echte Schauspieler wirken gekünstelt. Die eher unerfahrenen Typen sind lebensnaher. Wir brauchen was Realistisches. Also keine mit Schauspielschule. Und keine, die schon mal in einem Film mitgespielt haben. Oder… vielleicht leben noch ein paar aus Gute Zeiten, schlechte Zeiten.
SPRACHLICHE BEGABUNG: Wichtig! Der neue Trend ist, dass man auch in Filmen so spricht, wie man das im privaten Kreis tut – zum Beispiel, wenn man schon einige Achterl intus hat. Je unverständlicher ein Schauspieler redet, desto wirklichkeitsnaher kommt er rüber. Am besten sind also Akteure, die nur durch zusammengebissene Zähne sprechen. Da können sie ruhig ein wenig nuscheln.
GAGE: Bevorzugt werden hungrige Schausteller… ähhh …Spieler. Sie müssen unseren Fernsehkrimi als Sprungbrett auf die großen Bühnen der Welt verstehen. Hollywood und so… Als Gage wird freie Kost und Logis angeboten. Das wird dann auch nicht zu teuer, denn wir drehen in eineinhalb Wochen alle zwölf Folgen.

Das ist die (nicht ganz) wahre Geschichte der „SoKo Linz“. Ich habe drei Folgen auf dem Festplattenrecorder aufgenommen. Und habe es trotz mehrmaliger Versuche nicht geschafft, mir auch nur eine einzige bis zum Schluss anzu-sehen. Ich schlafe ja eh manchmal auch bei guten und spannenden Filmen ein. Aber nicht immer wieder und immer wieder – wie bei der Soko Linz.

Dabei ist es nicht so, dass die SoKo Linz gänzlich uninteressant wäre. Interessant ist jedenfalls, dass sich SoKo Linz bei den Dialogen an deutsche Fernsehfilme anlehnt. Nur bei deutschen Fernsehfilmen hat sich ein teilweise gänzlich unverständliches Nuscheln durchgesetzt. Dies war auch der Grund für meine ersten Hörgeräte vor drei Jahren. Ich verstand einfach vieles nicht. Also mussten Hörgeräte her. Aber dadurch wurde es nicht besser. Ich verstand auch mit den Horcherln nicht mehr.
Warum ist das gerade bei deutschen Fernsehfilmen so? Und bei der Soko-Linz, bei der man auch die Hälfte der Dialoge einfach nicht verstehen kann? Ich denke, weil sie nicht synchronisiert werden müssen. Sie werden von den Akteuren gesprochen. Ausländische Filme werden synchronisiert und Synchronsprecher sind Profis.

Apropos Dialoge. Szene 1: Im Kommissariat spielt man das Video einer Überwachungskamera ab. Der Film zeigt die flüchtende Mörderin. Kriminalhauptkommissarin Oldendorf (sie heißt übrigens Nele – welch schöner Oberösterreich-Bezug) zeigt mit dem Finger auf den Bildschirm:
„Wir müssen rausfinden, wer das ist.“
Über derartig scharfsinnige Bemerkungen darf man sich bei der Soko Linz nicht wundern. Die gleiche Hauptkommissarin in einer anderen Folge, Szene 2: Die Tote liegt im Leichenschauhaus. Nele: „Die Ermordete war 18 Jahre alt. Sie hatte noch das ganze Leben vor sich.“
Na, sowas. Das fällt alles unter die Rubrik ‚er trank ein Glas Wasser, weil er Durst hatte‘. Die Chefin Oldendorf wirkt überhaupt nicht so sehr wie eine Kriminalistin, eher als eine ein wenig unterbelichtete Märchenfee. Tatsächlich hat die Darstellerin Anna Hausburg schon die Titelrolle der Prinzessin Rosa in dem Märchenfilm Dornröschen gespielt. Ja, das passt genau auf sie.
Szene 3: Ein nächtlicher (!) Spaziergänger filmt zufällig (!) mit seinem Handy (!), wie sich ein Einbrecher im zehnten (!) Stock eines Hochhauses von Fenster zu Fenster schwingt. Im Kommissariat sieht man sich den Film an. Auf dem fast dunklen Bildschirm ist bestenfalls ein dunkler Schatten am Hochhaus erkennbar. Frau Kriminalhauptkommissarin fragt: „Kannst du das Gesicht näher heranziehen?“

Als Draufgabe noch ein sensationelles Dialogfragment:
„Was sagt die Spurensicherung?“
„Nix. Zu viele Spuren.“
Das glaube ich jedenfalls, verstanden zu haben. Wenn man bei Filmen die Dialoge rein akustisch kaum versteht (vom Sinn gar nicht zu reden), ist die Mimik besonders wichtig. Da komm ich jetzt zu Jo. Also zu Frau Chefinspektorin Johanna „Joe“ Haizinger. Dargestellt von Katharina Stemberger. Ihre Filmographie führt von Medicopter 117, über Schlosshotel Orth, Klinik unter Palmen, Unter den Linden bis zur SOKO Kitzbühel (!). Ihre Anspruchslosigkeit setzt sie jetzt in Linz fort.
Man kann ja nichts dafür, wenn man ein Gesicht für die Idealbesetzung einer Operettendarstellerin hat. Darum machen die Stemberger-Schwestern ja auch seit 2008 gemeinsames Theater: Operetten, die im Volkstheater in den Bezirken aufgeführt werden.
Zurück zur Mimik. Ich war neulich im Linzer Zoo. Die haben einen Pfau. Der hatte eine Mimik! Na, ich sage euch! Faszinierend. Hat mich sofort an die Frau Chefinspektorin erinnert. An ihren stahlharten Blick. Wie eine Referentin auf einem nachmittäglichen Seniorenkränzchen. Dieser Blick lässt die knallharten Ganoven nacheinander in die Knie gehen.

Interessant an der SoKo Linz ist auch die Story, also das Drehbuch. Eigentlich sollte es da um Spannung gehen. Aber auch um Glaubwürdigkeit. Und um Unterhaltung. Da ist SoKo Linz aber meilenweit entfernt. Nicht mal in der Nähe von Akzeptablem.
Da treffe ich bei uns im Hof einen Nachbarn.
„Sie sind doch der Schriftsteller…“
„Naja… Schriftsteller…“
„Aber Sie schreiben doch diese Krimis?“
„Ja.“
„Haben Sie sich schon die Soko Linz angeschaut?“
„Ja… leider.“
„Und was halten Sie davon?“
„Das ist der totale Schmarrn.“
„Genau. Sowas Schlimmes hab ich noch nie gesehen. Könnten Sie nicht ein Drehbuch für die schreiben?“

Drehbuch-Schwächen bei SoKo Linz sind nicht wirklich ein Wunder. Gute Filme werden derzeit nach meinem Geschmack in erster Linie im Norden produziert. In Schweden, Dänemark und Norwegen. Die grindigsten kommen aus den USA. Die fallen regelmäßig in die Delete-Kategorie. Reinschauen und gleich löschen. Wie die SoKo Linz.
Nach drei halbangesehenen Folgen SoKo Linz meine ich: nicht mal reinschauen! Einfach ignorieren! Nicht einmal ignorieren!
Die Erstausstrahlung der ersten Staffel mit 13 Folgen erfolgte seit dem 1. Februar 2022 im ORF. Der „ersten Staffel“ – das heißt nichts Gutes.

 

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