Wir reisen aus Syracusa ab und wollen nach Agrigento. Und wenn wir einen „kleinen“ Umweg machen, können wir uns die „Villa Casale“ – genauer „Villa Romana del Casale“ anschaun. Schließlich sind die Reste der spätrömischen Villa und vor allem die kunstvollen Mosaike eine archäologische Weltberühmtheit. Wir lesen, dass 1997 die Unesco die Villa zum Weltkulturerbe erklärt hat – und zwar mit der Begründung, dass es sich um „das hervorragendste Beispiel einer römischen Luxusvilla“ handelt. Die Villa soll um 300 n.Chr. als Privatresidenz eines römischen Kaisers (Maximian oder Maxentius… irgendein Max eben) erbaut worden sein und beispiellose Mosaiken „nordafrikanischer Künstler“ enthalten. Die Mosaiken seien deshalb so gut erhalten, weil die Villa um 1200 von einem Erdrutsch verschüttet worden sei. Erste Grabungen um 1800 hätten keine besonderen Sensationen ergeben, aber 1929 hätte man angeblich die Mosaike entdeckt, sie jedoch zum Schutz vor Verwitterung wieder zugeschüttet (wie das?) – erst 1935 seien sie endgültig freigelegt worden. Unter anderem würde man hier das „Mosaik der Mädchen im Bikini“ sehen, das zehn junge Frauen beim Sport zeige. Bikinis im Jahr 300 n.Chr? Das müssen wir sehen. Da müssen wir hin.
Der „kleine“ Umweg wird ganz schön lang. Als wir endlich angekommen sind, empfängt uns dort der obligatorische Parkplatzwächter, der für 2 Euro auf unser Auto aufpassen wird. Gott sei Dank – dann ist unser Auto hier ja sicher. Mit einiger Mühe finden wir die „Villa“. Von „Villa“ ist eigentlich keine Spur – die paar Mäuerlein werden doch nicht gemeint sein? Aber wenigstens die Mosaike sind da. Naja, wenn man kein ausgesprochener Mosaik-Fan ist, reißt’s einem nicht wirklich vom Hocker. Aber das eigentlich Interessante ist die wahre Geschichte der Mosaike der Villa Romana del Casale:
1935. Umberto hatte voriges Jahr geheiratet. Seinem Schwiegervater hatte er versprechen müssen, innerhalb eines Jahres ein Häuschen zu bauen. Vom Bürgermeister der Stadt Piazza Armerina hatte er die Erlaubnis erhalten, dieses Häuschen weit außerhalb der Stadt in einer kleinen Mulde zu errichten. Umberto war ein armer Mann, er hatte noch keine Idee, wie er dies finanzieren sollte. Aber mit seinem Schwiegervater war nicht gut Kirschen essen. Er schien dunkle Verbindungen zu haben und man munkelte, dass schon der eine oder andere seiner Feinde am Grund eines Flusses mit einzementierten Beinen (im Fachausdruck „Betonbatscherl“) gefunden wurde. Daher musste er wenigstens mal mit dem Bau beginnen. So also bat er seine Freunde Francesco, Luigi und Paolo, ihm zu helfen. Und daher waren sie heute alle vier hier draußen, um unter der sengenden Sonne vorerst mal ein Fundament zu graben.
Es war wirklich sehr heiß und bald waren sie schweißgebadet. Kein Wunder – waren sie doch alle in ihrem Beruf Fliesenleger und daher die schwere Arbeit nicht gewöhnt. Gott sei Dank hatten sie einige Krüge Wein mitgenommen. Und so sprachen sie ordentlich dem schweren sizilianischen Rotwein zu. Am Nachmittag sangen sie schon bei der schweren Arbeit mit ihren Spaten und beachteten die Blasen an ihren Händen nicht mehr. Am späten Nachmittag waren sie nicht mehr ganz sicher auf den Beinen. Da kam endlich Umbertos Frau und brachte ihnen was zu essen und – zwei weitere Krüge Wein. Die Jause kräftigte sie wieder ein wenig, aber als die Sonne unterging hatten sie nicht nur ein schönes viereckiges Fundament ausgegraben, sondern waren auch ziemlich betrunken.
„Eigentlich sollten wir das tun, was wir können“ meinte Paolo leicht lallend „und zwar Fliesen legen – statt dieser blöden Graberei“.
„Richtig“ meldete sich Francesco, „wir sollten für Umberto ein richtig schönes Fundament machen – eins, das mit Fliesen ausgelegt ist“.
Alle lachten.
„Ja“ schrie Umberto voll Übermut „ich will ein Flieschenfundament, ein Fliiiiiieschenfunda… dings“.
Seine Aussprache war auch nicht mehr die deutlichste.
„Gut, dann machen wir ein Fliiiiischenfundadings für Umberto und seine Donna Isabella“ spottete Paolo, „aber dazu brauchen wir Fliesen, Zement und vor allem Weiiiiiiiiiiiiin, Wein, Weiiiiiiiiiiiiin, viel Weiiiiiiiiiiin“.
Also brachen sie in der Dunkelheit auf, liefen zu ihrem Dorf und besorgten sich einen Karren. Sie luden soviel zerbrochene Fliesen auf – ganze hatten sie natürlich nicht – wie neben den vier Weinkrügen und dem Zement noch Platz hatte. Singend machten sie sich auf den Weg zu ihrer Baustelle. Es war Paolo, der den Vorschlag machte.
„Wisst ihr was, Donna Isabella verlangt ja jetzt schon Umberto alles ab…“ „Hähähähäääääääää“ gröhlten alle vier.
„Und, lieber Umberto, da brauchst du doch deine ganze Manneskraft…“
„Hähähähääääääääähhhäääääääääähäääääääää“
„Und wie erhält man sich seine Manneskraft…?“
Schweigen.
„Na sag schon“
„Durch Gedanken an schöne Mädchen. An nackte Mädchen“
„Hähähähääääääääähhhäääääääääähäääääääää“
„Daher werden wir dir mit unseren Fliesentrümmern nackte Mädchen legen“
„Gantsch nackt dürffffffen sie aber nigt sein“ wandte Umberto lallend ein.
„Nein, nein, die haben schon was an…“
Und sie arbeiteten die ganze Nacht. Legten das ganze Fundament mit ihren Fliesentrümmern aus. Ein Bild war entstanden. Es zeigte 10 spärlich bekleidete junge Frauen. Erschöpft und betrunken schliefen alle vier in der Morgendämmerung ein. Wussten noch nicht, dass sie schon bald Berühmtheit als nordafrikanische Künstler aus dem Jahr 300 n.Chr. erlangen sollten.
Kaum war die Sonne aufgegangen, zog eines der für Sizilien typischen Morgengewitter heran. Bald schüttete es wie aus Kübeln. Erde und Schlamm wurde über das „Kunstwerk“ geschwemmt, es war schon gar nicht mehr erkennbar. Vom Regen ernüchtert erwachten die vier und machen sich auf den Weg. Sie mussten zur Arbeit. An den nächsten Tagen fanden sie keine Zeit, um weiter an Umbertos Haus zu bauen.
Und dann tauchte da ein gewisser Giuseppe Cultrera in Piazza Armerina auf. Er besuchte den Bürgermeister und stellte sich als Archäologe vor. Er wollte eine Genehmigung für Grabungen. Just an der Stelle, an der der Bürgermeister Umberto gestattet hatte, ein Haus zu bauen. Da der Bürgermeister dachte, Umberto hätte ohnedies noch nicht zu bauen begonnen, erhielt Cultrera die Genehmigung. Cultrera begann mit seiner Mannschaft zu graben – und stieß auf eine „Weltsensation“…